Haltermann Carless Blog

Interview: Dr. Harald Dialer im Gespräch mit GES zum Thema SAF

Geschrieben von Autorin: Sandra Sparenberg | 15.9.2023

Wie kann Klimaneutralität für die ganze Welt über die nächsten 50 Jahre erreicht werden, ohne den Wohlstand einzuschränken? Globale Energielösungen als mögliche Wege zu einer Klimaneutralität - das will der Verein Global Energy Solutions erreichen. Als Pionier für nachhaltige Chemikalien und Kraftstoffe freuen wir uns, dass wir zu einem Interview zum Thema Sustainable Aviation Fuel (SAF) eingeladen wurden. Dr. Harald Dialer, unser Chief Commercial Officer, spricht über die aktuellen Entwicklungen, unserem Ziel, der erste kommerzielle Hersteller von SAF in Deutschland zu sein, und erläutert, warum der Hochlauf der SAF-Produktion eine solche Herausforderung darstellt.

 

 

Die HCS Group will 2026 an ihrem Produktionsstandort Haltermann Carless in Speyer 60.000 Tonnen Sustainable Aviation Fuels (SAF) produzieren. Das erscheint wie eine stolze Menge – gemessen an der Nachfrage nach nachhaltigem Flugkerosin ist es erst einmal nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und kann nur der Anfang für eine weitaus höhere Produktionsmenge sein. SAF steht für Flugkraftstoffe, die nicht aus fossilen, sondern unterschiedlichen regenerativen Quellen stammen. Dr. Harald Dialer, Chief Commercial Officer der HCS Group, erläutert im Gespräch mit Bert Beyers, Leiter Kommunikation Global Energy Solutions, warum der Hochlauf der SAF-Produktion so schwierig ist.

Das Interview wurde mit Herrn Bert Beyers, Kommunikationsleiter, geführt und am 01.09.2023 von Global Energy Solutions veröffentlicht. (-> GES Website)

 

Bert Beyers: Was haben Sie persönlich mit Sustainable Aviation Fuels (SAF) zu tun?

Dr. Harald Dialer: Ich bin seit dreieinhalb Jahren als Chief Commercial Officer im Vorstand der HCS Group. Und habe mich während meiner gesamten Karriere mit der Kommerzialisierung von neuen Technologien beschäftigt. Zum großen Teil mit nachhaltigen Kraftstoffen, erneuerbaren Chemikalien, sei es aus Biomasse, zellulosehaltigen Abfallstoffen, Fetten und Ölen, oder strombasiert wie Power-to-Liquids. Wir bezeichnen uns als Pioniere für erneuerbare Kohlenwasserstoffe. Unsere Strategie zielt klar auf die Defossilisierung. Wir kommen ohne Kohlenwasserstoffe nicht aus, daher ist in diesem Bereich der sonst häufiger verwendete Begriff Dekarbonisierung nicht spezifisch genug. Unsere Strategie ist es, zu evaluieren, wo Kohlenwasserstoffe in den nächsten Dekaden noch unabdingbar sind. Und wo eine Chance besteht, den Kohlenstoff nicht aus fossilen Quellen zu beziehen, sondern aus erneuerbaren oder ihn zirkular zu machen.

Und deshalb auch SAF?

Ja, weil über Jahrzehnte keine andere großtechnische Lösung besteht, speziell für Mittel- und Langstreckenflüge. Maßnahmen, die die Airlines in Richtung Klimaneutralität unternehmen können, zielen zu 65 Prozent auf SAF.

Auf Ihrer Website steht, dass Ihre Firma ab 2026 in Speyer 60.000 Tonnen SAF produzieren will. 60.000 Tonnen: Ist das viel oder ist das wenig?

Einerseits ist es viel, weil keine etablierten Wertschöpfungsketten vorhanden sind – im Gegensatz zu fossilen Raffinerien und petrochemischen Anlagen. Wir sehen es als erste Stufe und deswegen bauen wir auf einem bestehenden Standort auf, aus dem wir schon mehrere 100.000 Tonnen an Produkten jedes Jahr in den Markt bringen. Aber wenn man betrachtet, dass die „Fit for 55“-Mandate für die EU und nationale UK-Vorgaben in 2030 alleine 3,7 Millionen Tonnen bedingen. Und wenn man die weiteren freiwilligen Zusagen sieht, dann sprechen wir in der Summe über 5 Millionen Tonnen Bedarf in 2030. Daran gemessen sind die 60.000 Tonnen aus biogenen Reststoffen der zweiten Generation vergleichsweise wenig. Aber ein erheblicher Beitrag im Vergleich zu den kleinen Demoanlagen, die wir in Europa in den letzten Jahren gesehen haben.

SAF ist ja ein Sammelbegriff und es gibt mehrere Wege der Herstellung. Worauf setzen Sie?

Die Routen bisher, die auch die größten Volumina bis Mitte dieser Dekade sicherstellen werden, setzen auf Pflanzenöl, gebrauchtes Speisefett. Das ist die Route, mit der im Moment mehrere 100.000 Tonnen an SAF hergestellt werden. Diese Route ist aber limitiert: Es gibt einfach einen begrenzten Energieträger mit begrenzter Verfügbarkeit und begrenzter Lieferung. Zudem gibt es nach Fällen von Betrug mit angeblichem gebrauchtem Speisefett aus Asien erhebliche Zweifel an zertifizierter Nachhaltigkeit in diesem Bereich.

Und was ist Ihr Weg?

Wir setzen auf Biomasse aus Abfall- und Reststoffen aus der Forst- und Agrarwirtschaft, deren Verfügbarkeit viel größer ist, und mit denen das nächste Level erreichbar ist. Klar ist, dass die Route über das Speisefett, selbst wenn man alles global sammelt, maximal zehn Prozent des Bedarfs abdecken kann. Der Rest muss aus Routen kommen, die auf fortschrittlicher Biomasse basieren, und dann gibt es natürlich die quasi unlimitierte Königsroute aus CO2 über Power-to-Liquid, wo Großprojekte erst in der ferneren Zukunft nach 2030 erwartet werden.

Abfall- und Reststoffe aus der Forst- und Agrarwirtschaft, was heißt das konkret?

Zum Beispiel Stroh oder Holzabfälle oder Abfälle aus der Stärkeproduktion, die weder für Mensch noch Tier geeignet sind. Die EU hat innerhalb der RefuelEU Aviation Verordnung und im sogenannten Annex IX der Richtlinie für Erneuerbare Energien (RED II) ganz klar geregelt und aufgeführt, welche Stoffe zulässig sind, um langfristig und nachhaltig SAF produzieren zu können. Damit zum Beispiel keine Tank-Teller-Problematik oder Fragestellung zusätzlicher Landnutzung auftaucht.

Sind SAF wirklich klimaneutral?

Natürlich muss das zertifiziert werden. Wir schaffen gegenüber fossilem Kerosin eine Reduktion von bis zu 85 Prozent CO2-Äquivalenten. Das ist auch etwas, das von den Airlines nachgewiesen werden muss, und wo auch die Lieferanten in die Haftung genommen werden.

Einer der großen Vorteile von SAF ist ja, dass es drop-in-fähig ist, also zu fossilem Kerosin zugefügt werden kann. Wo liegen die Schwierigkeiten in der Logistik?

Ich habe vorhin bereits erwähnt: Es gibt keine etablierten Lieferketten, sowohl was die Rohstoffe als auch die Lieferung bis hin zum Flugzeug betrifft. Derzeit liegt die maximale Zumischung mit SAF zu fossilem Kraftstoff bei 50 Prozent. Das heißt, diese Beimischung muss separat erfolgen. Sie muss zertifiziert werden. Und sie muss sehr eng gefassten Standards genügen. Und dafür muss entweder selbstständig oder in Partnerschaften die Infrastruktur aufgebaut und etabliert werden. Weil die Airlines natürlich auch die Zertifikate haben wollen und müssen, um dann nachweisen zu können, dass sie die Quoten erfüllen, die zum Beispiel von der EU gesetzt wurden.

Wie teuer ist nachhaltiges Kerosin?

Gegenüber fossilem Kerosin ist SAF definitiv drei bis vier Mal teurer. Es entwickelt sich langsam ein liquider Markt. Man kann auch sehen, dass es abhängig von der eingekauften Menge irgendwo zwischen 3.000 und 4.000 US-Dollar pro Tonne gehandelt wird gegenüber fossilem Kerosin, das bei circa 1.000 US-Dollar pro Tonne liegt. Das sind natürlich noch kleinere Volumina, die im Moment gehandelt
werden, und die auf mehrere Millionen Tonnen hoch gehen müssen, um die Auflagen zu erfüllen.

Wo sind denn die Schwierigkeiten beim Hochlauf?

Da gibt es zunächst eine Vielzahl an Stakeholdern: nicht nur die kommerziellen Luftlinien, Luftfrachtunternehmen und die inverkehrbringende Industrie, sondern auch den Staat, der den Hochlauf fördern will. Ähnlich wie beim Wasserstoff gibt es auch bei SAF sehr ambitionierte Ziele. Und dann muss auch auf der regulativen Seite noch Klarheit geschaffen werden. Und das Wichtigste, wie Sie sagen, ist die Finanzierung des Hochlaufs, um dort die ersten größeren Projekte ans Laufen zu bringen. Dabei ist sehr auffällig, dass sich die großen Ölfirmen teilweise noch zurückhalten, und in diesem Bereich nicht die First Mover bei Großinvestitionen sein wollen.

Warum ist das so?

Es gibt ein generelles Risiko bei der Skalierung von neuen Technologien und das muss man sehr genau abgrenzen und minimieren, bevor man selber in größerem Maßstab investiert. Und dann muss man natürlich sagen, dass die Ölfirmen von der Rückwärts-Integration leben, also von der Ölförderung. Und da ist es ein sehr schwieriger Spagat für die Firmen, Commitments für viele 100.000 Tonnen Produktion und auch viele 100 Millionen Euro Investments auf dem Gebiet SAF zu machen.

Apropos Commitment, man liest ja immer von tollen Versprechen in Sachen Klimaneutralität. Die IATA spricht zum Beispiel von Net Zero 2050. Wie passt das zu den ganzen Schwierigkeiten des Hochlaufs?

Wir sind eine der Firmen oder Partner, die im Moment in einer Arbeitsgruppe eine Roadmap mit Handlungsempfehlungen für das Bundesumweltministerium für Digitales und Verkehr und letztlich die Bundesregierung entwickeln. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird zudem von den Airlines thematisiert, die ja auch sehen, dass sie schon sehr bald bestimmte Auflagen erfüllen müssen. Oder nehmen Sie ein Unternehmen wie DHL, das im Rahmen der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie sogar deutlich über die vorgegebenen Quoten hinausgehen will. Bei der Roadmap machen wir einen Realitätscheck der vielen angekündigten Projekte, auf die sich alle verlassen. Wenn man diese Projekte mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit zusammenrechnet, kommt man den Anforderungen relativ nahe. Wenn man allerdings relevante Kriterien wie zum Beispiel einen existierenden Produktionsstandort, die genehmigungsrechtliche Situation, die Rohstoffkonformität und speziell den konkreten Planungsprozess mit entsprechender Finanzierung wählt, dann sieht man, dass eine massive Lücke klafft. Und die muss auch mit staatlicher Hilfe – und dazu zählen nicht nur Fördermaßnahmen und eine gezielte Zusammenarbeit mit dem Finanzsektor, sondern auch durch schnelle Umsetzung der Regulierungen und Richtlinien auf EU und nationaler Ebene – geschlossen werden. Dabei geht es auch darum, Wettbewerbsverzerrungen oder Carbon Leakage zu vermeiden, da die der RefuelEU Aviation verpflichteten Unternehmen durch die ambitionierten Klimaziele keine Nachteile erleiden dürfen.

Staatliche Hilfe – ist das Deutschland, ist das die EU?

Die EU hat einen der größten Fördertopfe, um den Hochlauf der First-Mover-Projekte zu unterstützen. Da reden wir zum Beispiel über einen Betrag von insgesamt 3,6 Milliarden Euro aus dem EU Innovation Fund für nachhaltige Technologien. Allerdings ist die Schwierigkeit in der EU natürlich immer, dass sie, wenn es um Förderprogramme geht, die Zustimmung aller Mitglieder benötigt, und im Gegensatz zu den USA so gut wie nie über gezielte Steuererleichterungen für erneuerbare Produkteagieren kann, sondern eigentlich nur über Quoten und entsprechende Projektförderungen. 

Kann der Hochlauf so funktionieren?

Mit besten Gewissen würde ich sagen: Er funktioniert so nicht. Ich denke aber, dass es langsam ein Dämmern ergibt, auch in der Politik: Dass man nicht einfach Quoten setzen und dann erwarten kann, dass Industrieunternehmen Geld in die Hand nehmen, wenn es um langfristige Investitionen über 10 oder 20 Jahre geht, die stark von regulatorischen Rahmenbedingungen abhängen und sich bezüglich ihrer Wirtschaftlichkeit im internationalen Wettbewerb durchsetzen müssen, zum Beispiel gegenüber Projekten unter dem pragmatischen Inflation Reduction Act (IRA) in den USA. Ich erwarte, dass mittelfristig eine Lücke bleiben wird, und Unternehmen teilweise Pönalen zahlen müssen, weil die Quote nicht erfüllt wird.

Sie meinen Airlines?

Die befinden sich in einer schwierigen Situation. Die Unternehmen werden massiv gefordert sein, die gesetzlichen Beimischungs-Quoten und generell ihre Klimaziele zu erfüllen, die oft der strikten „Science Based Targets“-Initiative folgen. Sie müssen vor allem mit SAF arbeiten. Das bekommt man anders nicht hin. Teilweise hängen individuelle Finanzierungen, Zinsniveaus oder Kreditzusagen an der Erfüllung der Ziele zur CO2-Reduktion. Und wir haben natürlich noch den Druck der Öffentlichkeit. Deswegen versuchen die Airlines natürlich, Anbieter zu motivieren und neue zu qualifizieren. Auch deswegen haben wir ein sehr starkes Interesse der Lufthansa vorgefunden, mit der wir ja vor kurzem eine Absichtserklärung zur Produktion und Lieferung von Sustainable Aviation Fuel „Made in Germany“ unterzeichnet haben. 

Was erwarten Sie realistisch in zehn Jahren?

Wir werden sicherlich die Demonstration fortschrittlicher Biokraftstoffe bei den SAFs erleben und dort den Ramp-up sehen. Da entstehen auch erste große Projekte in den USA. In den USA allerdings ist bislang die erste Generation von Biokraftstoffen zulässig, das heißt zum Beispiel Mais-basiertes Ethanol und SAF. In der EU sind nur Biokraftstoffe der zweiten Generation zulässig. Ich denke, dass wir in dieser Dekade die ersten kommerziellen Power-to-Liquid-Projekte sehen werden, es gibt ja bereits kleinere Demo-Projekte. Die EU hat gerade mit 40 Millionen Euro ein Projekt von Nordic Electrofuel in Norwegen unterstützt, das 8.000 Tonnen Power-to-Liquid-Kraftstoff liefern soll. Aber den großtechnischen Scale-up, den werden wir leider erst nach 2030 sehen. Weil es, glaube ich, wie immer so ist, dass die Schmerzen oder auch Anreize erst ein bestimmtes Limit erreichen müssen, bis weitere Investitionen folgen und weil die Großproduktion von strombasierten Kraftstoffen in bevorzugteren Regionen, wie zum Beispiel im globalen Süden, für den Import nach Europa aufgebaut werden muss.

Was kann Ihre Firma zum SAF Hochlauf beitragen?

Wir wollen getreu unserer Vision als Pionier für erneuerbare Kohlenwasserstoffe vorangehen. Wir bauen mit der geplanten SAF-Investition ja auf unserer bestehenden Infrastruktur auf. Speyer ist nur wenige Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt, über den Rhein ideal erreichbar und bereits nach ISCC-Nachhaltigkeitskriterien zertifiziert. Außerdem haben wir Zugang zu einer Pipeline, aus der auch fossiles Kerosin zugemischt werden kann. Und so wollen wir mit großtechnischen Volumina schneller am Markt sein und ein niedrigeres Risiko eingehen.

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